Das Verlassene Dorf

Heinrich Böll beschrieb das verlassene Dorf in seinem Buch “Das irische Tagebuch” als Skelett einer menschlichen Siedlung.

In der Tat erstrecken sich die über 80 Ruinen wie ein Rückgrat entlang des Südhangs des 671 m hohen Berges Slievemore.

Das verlassene Dorf („Deserted Village“) liegt auf Achill Island, direkt neben dem Friedhof von Slievemore. Von der Straße, die Keel und Dugort verbindet, ist es gut zu erkennen: graue, dachlose Steinruinen reihen sich in 1,5 km Länge aneinander.

Die britische Landvermessungsbehörde (Ordnance Survey) verzeichnete in der ersten Ausgabe ihrer Landkarte von 1838 insgesamt 137 Häuser. Heute sind noch 84 Häuser in verschiedenstem Zustand des Verfalls zu sehen. Sie sind in drei erkennbare Gruppen aufgeteilt, die eigene kleine Dörfer innerhalb dieser Ansiedlung bildeten und die untereinander durch einen Pfad verbunden sind. Theoretisch müsste man also von verlassenen Dörfern im Plural reden.

Das verlassene Dorf ist frei zugänglich. Fahren Sie bis zum Friedhof von Slievemore, parken Sie dort Ihren Wagen oder schließen Sie Ihr Fahrrad an Bügeln fest und gehen Sie dann auf einem Kiesweg entlang, der südlich des Dorfes entlangführt. Wenn Sie genau hinschauen, werden sie gleichmäßige Wellen im Boden sehen. Hier wurden Kartoffeln angebaut. Das Wasser, das den Berghang hinab floss, wurde in die Furchen geleitet und die Kartoffeln behielten auf ihrem erhöhten Beet „trockene Füße“.

Auffällig ist, dass über 90 % dieser Häuser eine Nord-Süd Ausrichtung haben, sie also fast alle in Reih und Glied stehen. Die Häuser sind ohne Mörtel gebaut, sind rechteckig, und hatten Giebeldächer, die ursprünglich mit Stroh aus Roggen gedeckt waren.

Es gibt Häuser mit einem Raum, mit zwei Räumen und mit einem Raum und einem Anbau, z.B. Stall oder Plumpsklo. Die meisten Häuser allerdings bestehen aus einem Raum und werden „byre houses“ genannt (byre = engl. für Kuhstall), weil man sich im Winter das Haus mit dem Vieh teilte. So waren die Tiere vor der Witterung geschützt und die Menschen hatten es wegen der Körperwärme, die die Tiere abgaben, wärmer.

Wegen der Jauche, die das Vieh natürlich auch abgab, haben die Häuser eine kleine Abflussrinne in der Mitte des Raumes. An der unteren Hälfte der Südwand findet man oft kleine Aussparungen, in denen früher Vorrichtungen zum Anbinden des Viehs verankert waren. Oberhalb der Verankerungen ragen oft Kragsteine heraus, also steinerne Vorsprünge, auf denen Holzbalken aufgelegt waren, so dass oberhalb des Kuhstalls ein kleiner Dachboden entstand, auf dem man schlafen konnte.

An der östlichen Seite der Ruinen befindet sich meist eine Tür. Manchmal gibt es auch eine zweite Tür oder ein Fenster an der Westseite, um eine gewisse Durchlüftung zu garantieren, denn ein offenes Torffeuer brannte Tag und Nacht und einen Rauchfang hatten wenige Häuser. Die Feuerstelle war an der Nordwand zu finden. Daneben, an der nordwestlichen Ecke war oft eine Schlafstatt.

Vor der Tür auf der östlichen Seite befinden sich die Abfallgruben der Häuser, heute eine Goldgrube für die Archäologen, die der Geschichte des verlassenen Dorfes und der Besiedelung des Ortes auf die Spur kommen wollen. So lassen die Analysen von Fundstücken den Schluss zu, dass eine Besiedelung nicht vor 1750 stattgefunden haben kann, und dass die Besiedelung irgendwann in den 1850ern endete.

Video: Das verlassene Dorf bei Slivemore

Oft wird vermutet, dass die große Hungersnot zwischen 1845 und 1850 die Besiedelung abrupt beendete. Diese Katastrophe hat die Bewohneranzahl in den drei Dörfern nur verringert, nicht aber die Besiedelung komplett beendet, nehmen Archäologen vor Ort an. Erst eine Anhebung der Pacht, die schlechter werdenden Böden und die Tatsache, dass im nahe gelegenen Dorf Dooagh Zuschüsse zum Kauf von Fischerbooten angeboten wurden, ließ die am Hang von Slievemore verbliebenen Menschen an die Küste nach Dooagh ziehen, wo ihre Nachfahren heute noch leben.

Aber die Bewohner des nun verlassenen Dorfes waren keinesfalls die ersten, die in der Gegend um den Slievemore wohnten. Reste von Portal- und Kammergräber am Süd- und Osthang des Berges sowie Acker-Begrenzungen lassen auf eine Besiedelung in der Jungsteinzeit schließen.

Und sie waren auch nicht die letzten, die das Dorf bewohnten, denn neue Untersuchungen legen nahe, dass nach den 1850ern das Vieh auf die Hänge des Slievemore zum Grasen getrieben wurde, um es von den Pflanzenanbauflächen fern zu halten. Im Sommer also war das Dorf wieder bewohnt, im Herbst kehrten Vieh und Mensch wieder an die Küste zurück. Diese Art der Wanderweidewirtschaft („booleying“) wurde noch bis in die 1940er praktiziert.

Heutzutage lädt ein neu angelegter Kiesweg vom Verlassenen Dorf bis nach Dooagh dazu ein, die Geschichte des Dorfes praktisch „im vorbei Gehen“ kennen zu lernen.

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